Am 25. April 2013 fand die in 30 Jahren erste gemeinsame Pressekonferenz der Schweizer Selbstbestimmungsorganisationen Exit (Deutsche Schweiz), EXIT A.D.M.D. Suisse romande, DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben, Ex international und Lifecircle in Zürich statt. Grund für den gemeinsamen Auftritt war das mit 15 Millionen Franken Steuergeldern dotierte Nationale Forschungsprogramm «Lebensende» (NFP 67), welches vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) durchgeführt wird. Auf den ersten Blick erschien das NFP67 als willkommener Vorstoss, fundiert Grundlagenwissen (auch) im Bereich der Tätigkeit von Organisationen wie Exit und DIGNITAS zu erarbeiten. Bei genauerer Analyse sah und sieht man aber: das NFP 67 ist nicht wissenschaftlich-neutral und ergebnisoffen, sondern voreigenommen gegen die in der Schweiz etablierte Patientenautonomie, Wahlfreiheit und Selbstbestimmung im Leben und am Lebensende. In den Unterlagen des NFP 67 wird die Suizidhilfe als „gesellschaftlich umstritten“ dargestellt, es werde „kontrovers“ debattiert, und es müsse reguliert werden, welche Formen des Sterbens zu „erlauben“ seien, usw.
Am 19. Juni 2013 reiste eine Delegation von Exit und DIGNITAS im Namen aller fünf Selbstbestimmungsorganisationen nach Bern zu einer Aussprache mit dem Direktor des SNF sowie weiteren im NFP67 involvierten leitenden Personen. Leider hatte man kein Gehör für die Bedenken und Kritik und bot einfach einmal jährlich ein Informationsgespräch an. Die Organisationen entschieden daraufhin, solche mit vertuschten Zielen gelenkte Forschung und damit den Missbrauch von 15 Millionen Franken Steuergeldern nicht hinzunehmen. Deshalb wurde DIGNITAS beauftragt, ein Verfahren gegen den SNF auf Basis des Bundesgesetzes über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (Öffentlichkeitsgesetz, BGÖ) einzuleiten, womit bezüglich der Auswahl der Projekte und Projektverantwortlichen Einblick in die Akten und damit Transparenz für die Öffentlichkeit erreicht würde.
Der SNF teilte DIGNITAS mit Stellungnahme vom 17. Juni 2013 mit, dass er den Zugang zu den verlangten Akten nur beschränkt erteilt und im Übrigen verweigere. Er liess DIGNITAS ein Aktenverzeichnis über den in Aussicht gestellten Zugang zu Dokumenten zukommen. Gleichzeitig informierte der SNF DIGNITAS über die zu erwartende Gebühr von CHF 800.- für den Aktenzugang und ersuchte, das Zugangsbegehren innert 10 Tagen zu bestätigen.
In der Folge sandte der SNF DIGNITAS für die Selbstbestimmungsorganisationen einige Unterlagen, in denen vor allem viele „geschwärzte“ Stellen zu sehen waren, zusammen mit einer Rechnung über CHF 800.-. Forderungen bezüglich Rückschlüsse auf die Auswahlverfahren der Projekte sowie der sie leitenden Personen und somit Transparenz über die Verwendung der 15 Mio. Franken Steuergelder im NFP67 wurden damit in keiner Weise nachgekommen. Sowohl diese Gebühren wie auch die Fristen des Schlichtungsverfahrens rügte DIGNITAS.
Das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen entschied am 16. Dezember 2014, dass der SNF einen Teil der Daten bezüglich des NFP67 offenlegen muss. Dies war ein Teilerfolg für die Schweizer Selbstbestimmungsorganisationen. Gegen diesen Entscheid erhob jedoch der SNF am 2. Februar 2015 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht. DIGNITAS reichte fristgerecht vor dem 13. März 2015 eine Beschwerdeantwort ein. Kurz darauf führte das Bundesgericht noch einmal einen Schriftenwechsel aufgrund einer Eingabe des SNF durch.
In einer öffentlichen Urteilsberatung am 2. Dezember 2015 stiess das Bundesgericht knapp mit 3 gegen 2 Richterstimmen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Februar 2015 leider um. Das Bundesgericht schützte damit die Interessen des SNF. Allerdings war in der Diskussion der Richter unmissverständlich Kritik an der „Forschung“ des NFP67 zu hören. So bemerkte Bundesrichter Merkli: Da sei ein Projektantrag mit „poor“ und „very poor“ bewertet worden, aber danach von einem anderen Gutachter als „good“ und „very good“ – der NFP 67 liess offensichtlich so lange Gutachten schreiben, bis er für ein von der Leitung gewünschtes Projekt eine in seinen Augen geeignete Beurteilung bekam...
Dr. iur. Christoph Auer, Staatsschreiber und Lehrbeauftragter am Institut für öffentliches Recht der Universität Bern publizierte über diesen Bundesgerichtsentscheid im Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht (ZBL) 2/2017, Seiten 94 ff. Er schreibt auf Seite 105:
«Ich selbst hatte aus folgenden Gründen mit der Minderheit gestimmt:
- Der vorliegende Sachverhalt beschlägt einen zentralen Aspekt des Öffentlichkeitsprinzips, nämlich dessen Kontrollfunktion: Mit der Schaffung von Transparenz in der Verwaltung soll den Gefahren von Missbrauchen und Ungleichbehandlungen begegnet werden, wie das Bundesgericht in E. 4.2.4 betont. Solche Gefahren bestehen aber gerade im Bereich des Leistungsstaats, wo die öffentliche Hand Finanzhilfen, Auftrage oder eben Fördermittel vergibt. Gerade hier ist Transparenz gefragt, wenn eines der wesentlichsten Ursprungsziele des Öffentlichkeitsprinzips verwirklicht werden soll.
- Mit ihren Peer-Review-Berichten unterstützen die externen Experten den Staat bei dessen Vergabeentscheiden. Sie stehen in einer rechtlichen Beziehung zur Vergabestelle, wobei es um bedeutende finanzielle Leistungen gehen kann (vgl. dazu Art. 6 Abs. 2 Bst. c VBGO). Die Gutachter nehmen in diesem Sinne selbst öffentliche Aufgaben wahr, was es rechtfertigt, ihre Interessen an der Geheimhaltung weniger stark zu gewichten als bei anderen Privatpersonen, deren Daten Gegenstand eines BGO-Verfahrens sein können.
- Die Gutachter bewerten und würdigen Projekte von Kolleginnen und Kollegen der eigenen Zunft. Soweit sie dabei Gesuche aus dem eigenen Forschungs- und Tätigkeitsbereich beurteilen, was nicht selten der Fall sein dürfte, sind sie gewissermassen «Richter in eigener Sache», womit eine Art Konkurrenz- oder Befangenheitssituation entsteht. Dabei erscheint es nicht völlig abwegig, dass eine kritische Würdigung des zu beurteilenden Forschungsprojekts positive Effekte für die eigene Forschungstätigkeit auf demselben Tätigkeitsgebiet haben konnte. Solche zumindest denkbaren Abhängigkeiten sprechen dafür, das Gebot nach Transparenz hoch zu gewichten, um nicht den Anschein einer womöglich unsachlich motivierten Expertenbegutachtung entstehen zu lassen. Vor diesem Hintergrund konnte gerade der Umstand, dass die Wissenschaft gut vernetzt ist und die Akteure sich kennen – ein Umstand, den der SNF gegen die Offenlegung vorgebracht hat (E. 4.2.1) -, ein Grund für die Gewährung von Transparenz sein.»
Unterlagen:
Medien / INFOsperber: SVP-Bundesrichter kritisiert den Nationalfonds (Link)
Exit-News: Nationalfonds will „armselige“ Projekte verstecken (PDF)
Verfügung des Schweizerischen Nationalfonds SNF vom 20. Dezember 2013 (PDF)
Beschwerde vom 31. Januar 2014 von Dignitas gegen die Verfügung des SNF vom 20. Dezember 2013 (PDF)